seltsamistdasneueschoen gruen

Ich liebe diesen Satz – nicht nur, weil er von meiner Herzensfreundin Nadine stammt.

Aber auch. 

Und ich bin so glücklich, dass es nun diese Homepage gibt und somit einen Ort, den ich nutzen kann, um über all die Dinge zu schreiben, die ich mit Nadine verbinde – sei es, weil wir darüber gesprochen haben oder weil ich glaube, dass es sie interessiert, berührt oder zum Lachen gebracht hätte.

Die Idee etwas in der Art zu schreiben, gibt es schon seit vielen Jahren. Und auch der dazugehörige Titel stand schon lange fest.

„Seltsam ist das neue Schön“ – ein Geschenk meiner Freundin Nadine.

Weil ich diesen Satz von ihr so sehr liebe und er für mich ein Sinnbild wurde für unsere Freundschaft,  für Offenheit und Authentizität und auch dafür, wie wundervoll es ist seltsam statt normal zu sein, möchte ich Euch gern von dem Tag erzählen, an dem ich ihn von Nadine geschenkt bekam.

Als ich sie das erste Mal auf der Palliativstation besuchte, war ich ziemlich erschlagen von all den Eindrücken. Die langen Krankenhausflure, die oft blassen Palliativpatienten und meine sonst so fröhliche, lebenslustige Freundin mit einem Kühlkissen auf dem kahlen Kopf und dunklen Ringen unter den müden Augen … all das hatte ich mir zwar irgendwie so ähnlich vorgestellt, aber eben doch nicht so richtig und vor allem ohne dieses Gefühl, das sich meiner bemächtigte als ich Nadine zum ersten Mal in diesem doch recht desolaten Zustand sah: Hilflosigkeit.

Ich war wie erstarrt. Natürlich wusste ich, dass Nadine Krebs hatte, dass es ihr gerade nicht gut ging und auch, dass sie nicht ohne Grund auf der Palliativstation lag, und doch türmte sich dieser Augenblick, in dem ich es nicht nur wusste, sondern erlebte, hinter mir auf wie eine riesige Welle, die jeden Moment über mir brechen und mich mit sich reißen würde. Und dann – so meine Überzeugung – würde ich zusammenklappen und nie wieder aufstehen können.

Natürlich sah mir Nadine all das an. Sie lächelte ihr liebevolles Lächeln und streckte eine Hand nach mir aus. „Och, Mensch, Sophia … Du Arme. Komm her.“

Und da kam die Welle. Aber nicht mit Gewalt und alles niederreißend, wie ich es mir ausgemalt hatte, sondern geradezu sanft und mich tragend. Ich hatte noch nie vor Nadine geweint. Auch nicht am Telefon. Nie. Weil ich fand, wenn sie nicht weinte, dann sollte ich das auch nicht tun. Sie war ja die mit dem blöden Krebs, nicht ich.

Und nun lag sie da in diesem Krankenhausbett mit lauter Krankenhauszeug um sich herum, mit ohne Haare, dafür mit Kühlkissen, dünner als je zuvor und interessierte sich nur dafür, dass es mir gerade nicht gut ging und reichte mir die Hand, um mich zu trösten.

Also weinte ich eben doch. Nach einem vergeblichen Versuch sofort wieder damit aufzuhören, ließ ich es zu und weinte so vor mich hin, während Nadine meine Hand streichelte und beruhigende Worte murmelte. Ich kramte nach einem Taschentuch, da hielt mir meine Freundin schon eins vor ihren entgegen. Es war mit Mohnblumen bedruckt.

„Hey, das ist eins von denen, die ich Dir geschickt hab“, schniefte ich und wollte es nicht annehmen, sondern mir ein paar Blatt Toilettenpapier aus dem Badezimmer holen, aber meine Freundin bestand darauf, dass ich gefälligst dieses nehmen sollte.

„Wenn man so doll weinen muss, dann ist es ja wohl das Mindeste, dass man ein schickes Taschentuch benutzen kann.“ Sie grinste und fügte hinzu: „Ich hab wirklich genug. Meine Mama hat mir gestern auch noch ein paar Packungen mitgebracht.“

Also nahm ich es an, putzte mir die Nase und bemerkte, dass die Tränen inzwischen ein wenig langsamer flossen.

Nadine lächelte und reichte mir gleich ein neues, diesmal war ein dickes Engelchen samt rosa Herzchen darauf gedruckt. Sie musterte mich. „Krass. Das stimmt ja echt …“, sagte sie und ich wusste sofort, was sie meinte.

Wenn ich weine, dann sehe ich umgehend aus als hätte ich seit Tagen nichts anderes getan. Ich bekomme eine dicke rote Nase, meine Augen werden ebenfalls rot und sind plötzlich nur noch halb so groß wie zuvor, nicht zu vergessen die roten Flecken, die ich dann umgehend im Gesicht und am Hals habe. Ich hatte Nadine davon erzählt, dass ich schon immer neidisch auf die Frauen war, die weinen konnten und dabei auch noch wunderschön aussahen, denn ich war definitiv keine davon. Und Nadine konnte sich nun live davon überzeugen.

Sie legte noch zwei weitere Taschentücher in meine Reichweite (noch einmal das Engelchen und eins mit der Aufschrift „Heul doch“). Dann erzählte sie von der netten neuen Krankenschwester und dem geradezu verstörend gutaussehenden Pfleger, der sie gestern mehrfach so seltsam angelächelt hatte, dass sie das Gefühl gehabt hatte, er würde mit ihr flirten. „Der hat ständig so gegrinst, wenn er mit mir gesprochen hat und irgendwie gewirkt, als ob er noch was sagen will, aber dann doch nicht sagt. Das war echt merkwürdig.“

„Naja“, schniefte ich. „Warum soll er denn nicht mit Dir flirten? Also, ICH würde, wenn ich hier Pfleger wäre. Obwohl … das dürfen die ja wohl gar nicht. Hm. Vielleicht war er deshalb so komisch? Weil er sich verknallt hat in Dich und das voll verboten ist.“

Nadine lachte. „Nee!“

„Woher willst Du das wissen?“

„Weil ich danach in den Spiegel geschaut hab.“

„Also, echt! Du siehst …“ Ich wollte gerade ausführlich erläutern, dass sie zwar im Moment ein biiisschen fertig aussah, aber nach wie vor wunderschön war. Nadine unterbrach mich kichernd.

„Ich hatte mittags ein Eis gegessen. Und …“ Sie lachte und brauchte eine Weile bis sie weiter sprechen konnte. Vor lauter Verwunderung hatte ich inzwischen aufgehört zu weinen.

„Ich schau also in den Spiegel und sehe, dass ich um den Mund KOMPLETT mit Schokolade vollgeschmiert war!“

„Nein!“

„Doch! Ich hab ausgesehen wie ein Kleinkind!“

Wir kicherten höchst albern vor uns hin.

Dabei war der Grund ja eigentlich ein trauriger. Nadine hatte kein Gefühl mehr um den Mund herum und bemerkte deshalb nicht, wenn sie sich verschmierte. Normalerweise wischte sie deshalb immer wieder sicherheitshalber über ihren Mund, wenn sie etwas aß. Das hatte sie aber beim Eis offenbar vor lauter Genuss vergessen.

Nadine stellte fest, dass wir nicht nur zeitweise seltsam aussahen, sondern es definitiv auch waren. Sie, weil sie so eine Esotante war und ich, weil es mir peinlich war zu weinen, wenn sie nicht weinte, obwohl ich das doch wirklich besser wissen müsste als Psychologin. Im Laufe des Gesprächs fielen uns noch eine Menge weiterer Seltsamkeiten an uns auf. Eine Menge.

Dann wurde Nadine müde und ich massierte ihr die Füße. Das wurde unser Ritual. Wenn sie erschöpft war, aber nicht schlafen konnte oder wollte, massierte ich und erzählte ihr dabei „was von früher“, wie sie es nannte.

Bei dieser ersten Fußmassage schaute sie mich an, lächelte ihr wunderschönes Nadine-Lächeln und sagte: „Wir sind schon echt seltsam, wir Zwei. Aber weißte … Seltsam ist das neue Schön.“

Ich fand den Satz so wundervoll, dass Nadine ihn mir spontan geschenkt hat.

„Der ist für Dich“, sagte sie. „Den kannste mal in ein Buch oder eine Kurzgeschichte oder sowas schreiben.“ Nadine war der festen Überzeugung, dass ich eines Tages ein Buch schreiben würde. Ich fand, dass ihr großartiger Satz dann unbedingt der Titel sein müsse. Drunter ginge das auf keinen Fall. Sie lachte und meinte, das wäre tatsächlich am besten, denn schließlich müsse es ja Tassen, T-Shirts und all sowas mit dem Spruch darauf geben.

Ich habe Nadine und mir je ein T-Shirt bedrucken lassen. Meins in grün und Nadines in lila, ihrer damaligen Lieblingsfarbe.

Nadine starb im Herbst 2016.

Seitdem versuche ich das Buch zu schreiben. Ich habe mir sogar eine Weile den Titel schützen lassen, um sicher zu sein, dass mir niemand zuvorkommt. Viele Male habe ich begonnen, aber es fühlte sich nie richtig an, weil es Nadine einfach nicht gerecht wurde, was auch immer ich geschrieben habe.

Vor einiger Zeit kam mir dann der Gedanke, dass ich es vielleicht langsam angehen lassen sollte und eben hin und wieder etwas schreiben, wenn mir danach war und es passte.

Und ich möchte Nadines Satz so gerne mit Euch teilen, weil ich ihn zu schön finde, um ihn so lange in der Schublade liegen zu haben bis ein Buch entstanden ist. Deshalb gibt es diese Homepage.

Und auch T-Shirts und Tassen mit Nadines Spruch darauf.

Mein Erlös wird vollumfänglich an die Lavia Trauerbegleitung gehen. Über diese wundervollen Menschen schreibe ich dann beim nächsten Mal. 


Save
Cookies user prefences
Diese Internetseite verwendet Cookies um sicherzustellen, dass Sie die beste Erfahrung auf unserer Website machen. Wenn Sie die Verwendung von Cookies ablehnen, funktioniert diese Website möglicherweise nicht wie erwartet.
Alle Akzeptieren
Nur Notwendige
Mehr Infos
Essential
Diese Cookies werden benötigt, damit die Website korrekt funktioniert. Es werden keine persönlichen Daten übermittelt. Sie können sie nicht deaktivieren.
sophiakrappweis.de
Cookiename: cookiesck | Beschreibung: Ist notwendig, um zu vermeiden, dass auf jeder Seite nach Cookies gefragt wird ||| Cookiename: f8c78efb62af365ab425ab3ca4df6968 | Beschreibung: Dabei handelt es sich um ein Session-Cookie von Joomla zur besseren Nutzung der Homepage.
Akzeptieren